Über Georg Schmitt

Georges Schmitt, Porträt von 1863
Porträt von 1863

Georg bzw. Georges Schmitt (1821-1900) war ein „Grenzgänger“ zwischen deutscher und französischer Musik und leistete als Organist und Reformer der Kirchenmusik etwas, das heute als „Kulturtransfer“ bezeichnet wird. In Trier geboren und als musikalische Frühbegabung mit 14 Jahren bereits Domorganist in seiner Vaterstadt, wanderte er 1844 nach Paris aus. Den Trierern hinterließ er jedoch ein Andenken: das Mosellied „Im weiten deutschen Lande“, das bis heute zum Liedschatz an der Mosel gehört. In Paris war er dann mehr als ein halbes Jahrhundert lang Zeitzeuge der Entwicklung der französischen Musik in einer ihrer dynamischsten Phasen: zwischen Berlioz und Debussy, Meyerbeer und Massenet.

Als Organist an der grandiosen Orgel von Saint-Sulpice gewann er eine prestigeträchtige Tribüne für sein Wirken in der Kirchenmusikreform. Er veröffentlichte das Roret-Handbuch L’Organiste praticien (1855) sowie die berühmte Anthologie Le Musée de l’organiste (1857/1858), verfasste Zeitschriftenbeiträge zur Kirchenmusikreform und komponierte zahlreiche Orgelwerke, die stilistisch zwischen deutscher und französischer Orgelmusik stehen. Als Opernkomponist vermochte er nicht sich durchzusetzen, trotz Aufführungen an verschiedenen Pariser Bühnen. Auch Chorsymphonien und Kantaten, die er zu Pariser Kompositionswettbewerben eingereicht hatte, fanden wenig Beachtung – zu Unrecht!

Die von mir verfasste WerkbiographieOrgel und Operinformiert über Schmitts Wirken und seine Kompositionen vor dem Hintergrund der Pariser Musikszene des 19. Jahrhunderts.

In Paris kam er mit bedeutenden Persönlichkeiten der Pariser Musikszene in Kontakt: Berlioz, Halévy, Offenbach, Gounod, Adolphe Adam, César Franck und Camille Saint-Saëns; letztere bezeichnete Schmitt sogar als seine „Freunde“. Die politischen Ereignisse und kulturellen Entwicklungen seiner Wahlheimat hinterließen Spuren in seinem Leben und spiegeln sich in Höhen und Tiefen seiner künstlerischen Laufbahn wider. Die Revolution von 1848 vertrieb ihn aus Paris. Für ein knappes Jahr weilte er in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo er sich als Organist an der Domorgel von New Orleans betätigte und eine Konzertreise als Pianist in den Norden unternahm.

Organist an Saint-Sulpice

Orgel in Saint-Sulpice, Paris
Orgel in Saint-Sulpice, Paris

1849 kehrte er nach Paris zurück und übernahm die Organistenstelle in Saint-Sulpice. Die 5-manualige „klassische“ Cliquot-Orgel von 1781 war eines der größten und bedeutendsten Instrumente in ganz Frankreich. Bei seiner Anstellung war zweifellos das Renommee ausschlaggebend, das Organisten aus dem Land J. S. Bachs damals besaßen. Die Position verschaffte ihm die Möglichkeit, sich durch zahlreiche Orgelwerke und theoretische Veröffentlichungen zu profilieren. Sein Handbuch L’Organiste praticien von 1855 wurde 1907 wieder aufgelegt; der 4. Teil der Anthologie Le Musée de l’organiste von 1857/58 wurde 1997 nachgedruckt.

Schmitt machte es sich zur Lebensaufgabe, die französische Orgelmusik aus der allgemein konstatierten „Dekadenz“ herauszuführen und kämpfte für eine würdige, d. h. „kirchliche“ Orgelkunst, frei von den Korrumpierungen durch die weltlich-triviale Musik. Dabei wurde er Mitinitiator und Zeitzeuge eines bemerkenswerten Umschwungs: So beklagenswert der Zustand der französischen Orgelmusik noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts war, so glänzend stand sie am Ende da: Paris wurde zum „weltweit unübertroffenen Zentrum der Orgelmusik“. Zahlreiche bedeutende Organisten brachte die Stadt bis ins 20. Jahrhundert hervor, viele großartige Orgeln wurden gebaut und die Orgelkomposition entwickelte sich zu einem zentralen Genre der Instrumentalmusik. Dieser Wandel wirkte sich allerdings zu Schmitts Ungunsten aus. Galt er anfangs als ein Vertreter der überlegenen deutschen Orgeltradition, so überrollte ihn gegen Ende seines Lebens die Entwicklung, die er mit angestoßen hatte. Beispielhaft dafür ist seine Entlassung 1863 an Saint-Sulpice. Nachdem der große französische Orgelbauer Cavaillé-Coll die Orgel zu dem noch heute bewunderten, grandiosen Instrument mit 100 Registern umgebaut hatte, wollte man dieses Denkmal der Nationalkultur nicht länger einem Deutschen überlassen. Nach dem Französisch-Deutschen Krieg von 1870/71 wurde Schmitt vollends zum „Opfer“ der Rückbesinnung der französischen Musik auf ihre nationalen Wurzeln.

Reform der Kirchenmusik

Schmitt hatte inzwischen sein Betätigungsfeld erweitert und seine Reformbemühungen auf das gesamte Gebiet der Kirchenmusik ausgedehnt. Er kämpfte für eine Renaissance des Gregorianischen Chorals, den er durch eine historisch angemessene und attraktive Orgelbegleitung aufzuwerten bemüht war, und für die Rückkehr der klassischen Vokalpolyphonie ins Repertoire der Chöre. Zeitweilig war er Lehrer an der renommierten École Niedermeyer, an der zahlreiche Kirchenmusiker im Geiste der Kirchenmusikreform ausgebildet wurden; sie besetzten später Stellen in ganz Frankreich. 1860 war er Mitinitiator beim Pariser Kongress für die Erneuerung des Gregorianischen Chorals und der Kirchenmusik (Congrès pour la restauration du plain-chant et de la musique d’église). In der Reformzeitschrift Le Plain-Chant bzw. Revue de musique sacrée ancienne et moderne war er zeitweise Redakteur und veröffentlichte über 40 Beiträge zur Kirchenmusikreform. Vor allem bemühte er sich um einen Brückenschlag zur deutschen Reformbewegung des Cäcilianismus und korrespondierte mit dem Luxemburger Kirchenmusiker Heinrich Oberhoffer, Herausgeber der Zeitschrift Cäcilia, Organ für katholische Kirchenmusik, und mit dem Regensburger Gelehrten Dominikus Mettenleiter. Er gründete die Société académique de musique sacrée, in der die Reformziele durch geistliche Konzerte praktisch propagiert wurden; aus deren Leitung wurde er jedoch schon bald verdrängt. Seine Reformbemühungen brachten ihm den Titel eines Chevalier de l’Ordre de Saint-Grégoire (des päpstlichen Gregorius-Ordens) ein.

Oper und Symphoniekantate

Schmitts größtes Problem waren die Widerstände, die er als Deutscher zu spüren bekam – daran änderte auch die 1872 angenommene französische Staatsbürgerschaft nichts. Aber auch eine in ihm selbst liegende Sprunghaftigkeit erwies sich als Hindernis für seine Karriere. Um die Mitte der 60er Jahre stieg er unvermittelt aus der Reformbewegung aus und wandte er sich seinem eigentlichen Lebenstraum zu: der Oper. Er wollte sich als Komponist profilieren und Voraussetzung dafür war in Paris, der europäischen Kapitale der Oper, die Aufführung an einer der großen Bühnen. Um sich bekannt zu machen, unternahm er 1866 eine Aufführung auf eigene Kosten an dem privaten Théâtre Déjazet. Die vieraktige Opéra comique mit dem Titel La Belle Madeleine brachte jedoch nicht den erhofften Durchbruch. Auch mit kleineren Operetten konnte er sich nicht nachhaltig bekannt machen, obwohl sich sogar Jacques Offenbach für ihn einsetzte. Die Gründe für Schmitts Scheitern an der Bühne sind vielschichtig, liegen aber weniger in seinen kompositorischen Fähigkeiten als in Problemen, sich den Spielregeln der Pariser Gesellschaft anzupassen. Als er schließlich einsehen musste, dass er auf der Bühne keine Chance hatte, verlegte er sich auf das Komponieren opernnaher Vokalgattungen wie Cantate und Symphonie dramatique. Mit diesen Werken nahm er an großen Pariser Kompositionswettbewerben teil. Eines dieser Wettbewerbswerke ist das am 7. September 2014 im Rahmen des „Mosel Musikfestivals“ in Trier zur Aufführung gebrachte „Oratorium“ Le Sinaï. Auch mit diesen bemerkenswerten symphonischen Großwerken gelang ihm nicht der erhoffte Durchbruch; zwar brachten sie ihn bis in die letzten Ausscheidungsrunden, aber es reichte nicht zur Erlangung eines Preises. – Größere Verbreitung fanden indessen seine bei verschiedenen Verlagen in Einzeldrucken erschienenen Klavierstücke und Klavierlieder (siehe unten Chansons, Romances und Mélodies). Sie sind für den Salon und das private Musizieren geschrieben und seinen zahlreichen adeligen und bürgerlichen Klavierschülern gewidmet

Porträt Schmitt in Traben-Trarbach
Porträt Schmitt in Traben-Trarbach

Schmitt war ein „origineller und fruchtbarer Komponist“ – so der namhafte Zeitgenosse und Wissenschaftler Théodore Nisard. Das von mir erstellte kritische Werkverzeichnis in „Orgel und Oper“ umfasst ca. 220 Kompositionen; erhalten sind davon etwa 160 (im Druck oder Manuskript). Zahlenmäßig nehmen die (gedruckten) Orgelwerke den größten Raum in seinem Œuvre ein.

Auch nach seinem Tod blieb Georg Schmitt durch sein Mosellied „Im weiten deutschen Lande“ lebendig. Ausdruck der Verehrung ist sein Porträt am Torgebäude der Moselbrücke in Traben-Trarbach.